Samstag, 24. September 2022

"We der Bluwa zum Bawa wird....

de herbschtelet's süüferli zäntume". Verständlicher ausgedrückt: jeweils im Herbst wird der Blumenwanderer zum Baumwanderer! Etwas wehmütig ist ihm dabei schon ums Herz, wenn er die letzten Blumen sieht, aber reich entschädigt wird er durch die bemerkenswerten Bäume, die er dann aufsucht. Nachdenklich machen sie ihn, wie sie sich so gewaltig über Jahrhunderte hinweg aus einem kleinen Samen zu wahren Giganten entwickelten. Wer oder was sagte ihnen, wie und wo sie so wachsen sollten, gerade so wie sie sind?

Bäume sind wie andere Pflanzen keine tumben Wachstumsroboter und haben durchaus ihren individuellen Charakter. Wer sich mit ihnen beschäftigt, wird sich bald bewusst, dass sie anpassungsfähig sind und intelligent auf äussere Faktoren reagieren können. Stehen z.B. mehrere Bäume derselben Art beieinander, kann es durchaus sein, dass sich jetzt einer davon entscheidet, die Blätter schon zu verfärben und sie bald abzuwerfen, während sein "wagemutigerer" Genosse mit exakt denselben Umweltbedingungen noch lange grün bleibt und die Herbstwärme ausnützen will, allerdings auf die Gefahr hin, dass er bei vorzeitigem Kälteeinbruch Frostschäden erleidet.

Auf jeden Fall lebt diese Kategorie von Lebewesen in einer Dimension, die wir nicht wirklich verstehen können. Sie sehen, riechen, fühlen und kommunizieren wie wir es nicht tun. Dem Baumwanderer bleibt das Staunen über diese Geschöpfe, von denen er kürzlich wieder einige bemerkenswerte aufgesucht hat auf einer Rundfahrt durch den Berner Jura.


ein Zwischenhalt in Tramelan...


konfrontiert den Baumwanderer mit
einer unserer kleinsten Baumarten:
es ist die Zwerg-Birke (Betula nana)



in der arktischen Tundra reicht ihr Verbreitungsgebiet
bis etwa an den 80. Breitengrad heran. Interessanterweise
kommt sie auch in der Schweiz vor, ist aber sehr
selten anzutreffen. Sie ist ein Relikt der Eiszeit.



die Blättlein dieses auch Polar-Birke genannten
Gehölzes sind kleiner als ein Fingernagel
hier wächst auch
die Rosmarin-Heide (Andromeda polifolia)

und hier sind auch drei unserer Vakzinien (Beerensträuchlein) zuhause:
Gemeine Moosbeere (Vaccinium oxycoccos)

Rauschbeere (Vaccinium uliginosum)

Preiselbeere (Vaccinium vitis-idaea)







angekommen am Etang de la Gruère bewundere ich eine grosse Population
des Teichenzians (Nymphoides peltata)

Rundblättriger Sonnentau
(Drosera rotundifolia)

Kaisermantel auf Grauem Alpendost
(Adenostyles alliariae)





Bach-Kratzdistel (Cirsium rivulare)...

im Schweizer Amazonas-Gebiet.





ganz einfach so lassen kann's der Blumenwanderer dann doch nicht, 
und nimmt gerne die letzten Blumengrüsse der Saison entgegen:
Kleiner Sumpf-Hahnenfuss (Ranunculus flammula)

das Sumpf-Blutauge (Comarum palustre) ist am Abblühen

Teufelsabbiss (Succisa pratensis)



nun aber wird's ernst mit diesen beiden Berg-Ahornen (Acer pseudoplatanus)

zum Grössenvergleich stelle ich hier 
und im Folgenden jeweils meinen 
Rucksack neben die Giganten



denn unvermittelt bin ich in Audienz bei Seiner Majestät,
dem Erable vénérable de La Ferrière!
Sprachlos und ehrfürchtig umrunde ich den Giganten,
der 9 Meter Stammumfang aufweist.




man nimmt an, dass er der Grösste
seiner Art in der Schweiz ist



in seinem Innern hat er eine Höhlung, worin
mehrere Personen Platz haben. Nicht dort, aber
in seinem Schatten nehme ich gerne einen Imbiss



gleich daneben steht sein jüngerer Bruder,
sozusagen der Thronanwärter

auch er bedeckt mit einem Kleid
aus Moosen und Flechten



weiter geht die Fahrt, doch halte ich an bei dieser schönen Berg-Ahorn-Allee 
mit Blick hinüber auf Sankt Immer




eine uralte Linde (Tilia platyphyllos) bei Le Pâqier steht als nächstes auf dem Programm.
Sie ist ungefähr 200 Jahre alt (Michel Brunner schätzt sie gar auf 400 Jahre),
und dennoch ist sie noch voll im Saft und braucht keinerlei Stützen für ihre schweren Äste.



ich geniesse die kostbaren Momente
unter meiner Lieblingsbaumart

gerne setze ich mich eine Weile am Fuss ihres
 knorrigen Stamms hin mit den grossen Knollen,
die vom früheren Viehverbiss her stammen dürften




einige ihrer Äste berühren den Boden, stützen sich aber nicht ab.
Diese Linde hatte die Gelegenheit, sich frei zu entwickeln
und wurde nie gestutzt: ein Urbild eine gesunden Baumes!


der Baumwanderer trennt sich von der Linde und erkundet
etwas die Umgebung. Auf der angrenzenden Juraweide findet man
auch sonst eindrückliche Bäume, die wohl meist über 100 Jahre alt sind.


so beispielsweise diese Feld-Ahorne
(Acer campestre) von einer Mächtigkeit,
wie ich das bislang noch nicht gesehen habe.


ihr Geäst ist über und über mit Flechten überzogen


auch auf eine Esche (Fraxinus excelsior)
treffe ich, wie man sie sehr selten sieht

ist das vielleicht die Weltenesche Yggdrasil
der nordischen Mythologie? Auf jeden Fall
strömt sie eine ungewöhnliche Lebenskraft aus.

auch aussergewöhnliche Rot-Buchen
(Fagus sylvatica) wie diese sieht man
unversehens befinde ich mich
in einer phantastischen Allee


Linden und Bergahorne bilden ihre Reihen 


das Urteil ist bald gefällt:
eine schönere Allee gibt es wohl nicht





mit einem Sprung über die Weidemauer
befinde ich ich wieder auf der Weide
und staune über diese mächtige
Solitär-Fichte (Picea abies)




aber was ist da passiert?






wie eine frische Wunde klafft
da ein abgebrochener Ast
doch die alte Tante wird es überleben,
hat sie doch noch genügend Äste


auch Bäume haben ein Ende, aber bis es
soweit ist, beeindrucken sie durch 
ihre enorme Widerstandskraft 
und Resilienz, wie ich heute wieder
an vielen Beispielen sehen konnte
im Abendlicht nehme ich Abschied
von der legendären Linde,
die hoffentlich noch lange leben wird.
Lange vor mir war sie da und 
lange nach mir mag sie noch da sein!












2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für diese eindrücklichen Baumfotos ! Ich liebe Bäume sehr, und bei solch gewaltigen Exemplaren fühle ich mich ganz klein und unbedeutend, was ich ja auch bin. Diese langen Leben könnten Geschichten erzählen weit vor unserer Zeit und wir nehmen uns immer so wichtig ...Wenn ich beim wandern irgendwo das Fallen eines Baumes höre, tut es mir jeweils richtig weh, meine fast den Schmerz zu spüren.
    Fest verwurzelt im Boden, dabei nach oben streben dem Licht zu, ein Bild das doch auch für uns Menschen passt.
    Eine schöne Herbstwanderzeit wünscht dir Kilian und allen Mitwanderern , sume

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  2. Liebe Susanne, danke für deinen lieben und treffenden Kommentar! Ja, Bäume sind total aussergewöhnliche Lebensformen, deren Geheimnis wir nur umschreiben, aber nie begreifen können. Dazu ein Zitat von Hugo von Hofmannsthal: „Wüßt ich genau, wie dies Blatt aus seinem Zweig herauskam, schwieg ich auf ewige Zeit still, denn ich wüßte genug.“

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