Montag, 30. August 2021

Magie der Moore

Eine Landschaft aus dem Wasser geboren, das den Boden durchtränkt. Nicht Wasser, nicht Land, nicht See, nicht Wald - das Moor - scheint zu leben, wächst in die Höhe und verschlingt, was liegenbleibt. Hochmoore sind artenarme Lebensräume. Nur wenige Pflanzen finden sich in diesem nährstoffarmen und sauren Milieu zurecht. Trotzdem leisten Hochmoore einen wichtigen Beitrag zur Biodiversität, da in diesem besonderen Lebensraum hochspezialisierte Pflanzen wachsen, die nur hier vorkommen.

Nirgends in der Schweiz gibt es soviele national geschützte Moore auf einer derart kompakten Fläche wie im luzernischen Entlebuch. Diese Region umfasst ca. 400 km2; davon ist mehr als die Hälfte geschütztes Moorgebiet. Seit 2001 ist das Entlebuch ein von der Unesco anerkanntes Biosphären-Reservat, das erste der Schweiz. Ziel dieses Labels ist die nachhaltige Entwicklung eines Gebiets, die sowohl der Natur als auch den Menschen Überlebenschancen geben soll.

Diese Lebensräume strahlen eine eigene Magie aus. Dass dem insbesondere in botanischer Hinsicht so ist, durfte der Blumenwanderer diesen Sommer auf einer Exkursion mit dem erfahrenen Botaniker Franz Portmann feststellen. Er ist der Autor zweier exzellenter Bücher zur Pflanzenwelt der Biosphäre Entlebuch, einerseits eines Standardwerks zu allen hier vorkommenden Arten und Lebensräumen und andererseits eines vielseitigen Wanderführers im Gebiet (beide im Haupt Verlag Bern).


Tourdatum: 29. Juli 2021


die Ansicht des wild zerklüfteten Felsriegels der Schrattenfluh
wird uns den ganzen Tag über begleiten

schon auf dem Weg zum Moor
begegnen wir spannenden Arten:
Scheuchzers Glockenblume 
(Campanula scheuchzeri)
der Knotenfuss (Streptopus amplexifolius)
fruchtet schon. Er gehört zu den Liliengewächsen.
Der Name rührt daher, dass sein Rhizom
schief und knotig ist.


der Hochmoor-Lebensraum hat sich in einer Senke mit undurchlässigem Untergrund und viel Niederschlag
durch Aufwölbung des langsam aber stetig wachsenden Torfmooses gebildet.
Das Wachstum beträgt in 10 Jahren ca. ein 1 cm. Die Moose wachsen dabei oben weiter und sterben
im unteren Bereich langsam ab. Durch dieses stetige nach oben Wachsen ergeben sich
mit der Zeit erhöhte Bereiche, die Bulten und dazwischen Senken, die Schlenken.


 die Blumenbinse (Scheuchzeria palustris) ist die einzige Art in der monotypischen
Gattung Scheuchzeria, die wiederum die einzige Gattung der Familie
der Blumenbinsengewächse (Scheuchzeriaceae) ist. Benannt wurde sie nach
dem Schweizer Arzt und Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733).


Wurzelsystem der Blumenbinse (Quelle: Wurzelatlas mitteleuropäischer Grünlandpflanzen 2/1)



die Blumenbinse blüht nicht mehr, sondern
hat ihre typischen Balgrüchte angesetzt
Schlamm-Segge (Carex limosa)


Schnabel-Segge (Carex rostrata)
Igel-Segge (Carex echinata)


Moor-Labkraut (Galium uliginosum)




dass die Spezialitäten des Gebiets von der eher
unscheinbareren Sorte sind, zeigen diese Bilder:
für die seltene Kleinfrüchtige Moosbeere
(Vaccinium microcarpum) braucht es gute Augen!




zwischen der Rosmarinheide (Andromeda polifolia)
glänzt und glitzert es wie Tau:
Rundblättriger Sonnentau (Drosera rotundifolia)


das Kleine Zweiblatt (Listera cordata).
 Die unscheinbaren kleinen Orchideen wachsen hier
neben oder teilweise unter Heidelbeergebüsch.



Wald-Weidenröschen (Epilobium angustifolium)




die Bestände des Waldmoor-Läusekrauts
(Pedicularis sylvatica) gehen stark
zurück, was vor allem daran liegt, ...
dass extensiv genutzte Frisch- und Feuchtwiesen
 brach liegen, Feuchtwiesen trockengelegt und
solche Gebiete zunehmend intensiv beweidet werden.


jetzt werden die Blätter des Sonnentaus länger:
es handelt sich um den Breitblättrigen Sonnentau (Drosera ×obovata)
mit intermediären Merkmalen zwischen rund-und langblättrigem Sonnentau.

hier ist gut zu sehen, dass bei der
Rostblättrigen Alpenrose (Rhododendron
ferrugineum) nur die älteren Blätter die
typische rostbraune Färbung aufweisen
an den unterschiedlichen Grüntönen lassen
sich Heidelbeere (Vaccinium myrtillus)
und Rauschbeere (Vaccinium uliginosum,
blaugrün) gut unterscheiden


im Bergföhren-Moorwald ....

haben einige Bereiche keinen dichten Baumbestand.
Zwischen den Bergföhren (Pinus mugo ssp. uncinata)
befinden sich immer wieder kleinere Moorflächen.


Fuchs' Gefleckte Fingerwurz
(Dactylorhiza maculata ssp. fuchsii)





erstaunt nehme ich zur Kenntnis, dass es hier
auch schöne Arnika-Bestände gibt
(Arnica montana)


um diese Jahreszeit beginnen gerade
die schönen Bestände ...
des Moorenzians (Swertia perennis)
hier zu erblühen.


nun sind die Blätter des Sonnentaus auf einmal ganz lang,
denn wir haben den seltenen
Langblättrigen Sonnentau (Drosera anglica) gefunden


hier blüht der Sonnentau und wird oben von den Insekten bestäubt,
 die er unten wegfängt. Der Tierfang dient den Pflanzen der zusätzlichen
 Gewinnung von Stickstoffverbindungen im nährstoffarmen Boden


Wenigblütige Segge (Carex pauciflora)
Saum-Segge (Carex hostiana)


der Dornige Moosfarn (Selaginella selaginoides)...

ist eine von nur zwei im deutschsprachigen Raum heimischen
Arten der Moosfarne, die so gar nicht wie Farne aussehen

das ist allerdings nicht ein weiterer Moosfarn, sondern
einer der Höhepunkte des Tages: der Moorbärlapp (Lycopodiella inundata)
wächst hier inmitten von Sonnentau




eine tolle Überraschung war auch ein grösserer Bestand
der seltenen Einorchis (Herminium monorchis)


beim Blutauge (Potentilla palustris) übernehmen
die purpurrot 
gefärbten Kelchblätter die Schaufunktion
und das Anlocken 
der bestäubenden Insekten;
die Kronblätter sind kleiner 
und unauffälliger ausgeprägt.


Wurzelsystem des Blutauges (Quelle: Wurzelatlas mitteleuropäischer Grünlandpflanzen 2/1)

 der Dreizehenspecht ernährt sich unter anderem auch
vom Saft der Bergföhren. Dazu hackt er ringförmig
die Rinde ein, so dass er den austretenden Saft
aufnehmen kann. Noch Jahre später sind die eigenartigen
 Ringe an den Bäumen zu sehen. Trotz den
Verletzungen scheinen die Bäume aber nicht geschädigt


als abschliessendes Schmankerl gab es in einem anderen Moorgebiet
bei Entlebuch noch dies: die Glockenheide (Erica tetralix),
bei der man indes davon ausgeht, dass sie im 20. Jh. eingeführt wurde.

die Besenheide (Calluna vulgaris) ist ein langsamwüchsiger,
bis ein Meter hoher und etwa 15 Jahre alt werdender Strauch


soviel vom Kleinen Sumpf-Hahnenfuss (Ranunculus flammula)
habe ich noch nicht gesehen


die Weisse Schnabelbinse (Rhynchospora alba)
ist unverkennbar

hier im Habitus




der Beitrag endet mit einer an Magie nicht zu übertreffenden Art:
Sumpf-Stendelwurz (Epipactis palustris)




Freitag, 13. August 2021

furchtlose Wesen

Wildblumen sind furchtlose Wesen. Es reicht ihnen nicht, liebliche Ebenen zu besiedeln, sanfte Hügel oder hübsche Wiesen und Felder. Sie trotzen Höhe, Kälte, Schnee und Wind. Sie sind zart, anmutig, zerbrechlich: kaum zu glauben, dass sie unseren Planeten bis hoch hinauf auf seine höchsten Gipfeln erobert haben. In so unwirtlicher Umgebung, in der nicht einmal der Mensch leben kann, hat die Pflanzenwelt unbeirrt eine Ebene nach der anderen eingenommen, angespornt von einem unbändigen Lebenstrieb. Bergblumen geben uns eine Vorstellung davon, wie unerschrocken Pflanzenwesen sind, denn Pflanzen fürchten keinerlei Herausforderung, schrecken vor keinem Berg zurück, vor keinem Unterfangen, das manch einer verrückt nennen würde.




einem damals als verrückt geltenden Unterfangen verdanken wir diese
Luftaufnahme der Diablerets, der Teufelshörner. Sie entstand aus Eduard Spelterinis
Ballon "Wega" am 3. Oktober 1898. Genau in der Bildmitte ist das Nest
Taveyanne zu erkennen. Der auf 4100 Metern schwebende, furchtlose
Spelterini fotografierte gegen Westen in Richtung Gryon
anlässlich seines berühmten Alpenfluges.


nicht ganz so hoch hinaus wollte der Blumenwanderer bei seinem Ausflug
ins Diablerets-Gebiet: schon in der Zwischenstation auf zweieinhalb Tausend Meter
bei Tête aux Chamois verliess der Furchtsame die Gondel.


aber kann das sein, dass der Arme noch etwas Blühendes findet
in dieser Steinwüste und so vorgerückt im Jahr?
Im Hintergrund die Cabane des Diablerets.



was duckt sich denn da gut getarnt an den Boden
und treibt sogar Knospen?







es ist die selten anzutreffende
Niedrige Alpenscharte (Saussurea alpina ssp. depressa)



sie ist die kleine Schwester der verbreiteten
Gewöhnlichen Alpenscharte und eine der Spezialitäten hier oben


der kleine, hübsche Korbblütler 
öffnet bei meinem Besuch gerade...
die ersten Blüten. Die Vollblüte findet
dann erst Ende August statt.


was gibt es zum Empfang Schöneres als ein voll
aufgeblühtes Polster des Breitblättrigen
Hornkrautes (Cerastium latifolium) oder...
eine solche Gruppe von Grossköpfigen Gämswurzen
(Doronicum grandiflorum)?



die Gämswurzen gehören unbestritten
zu meinen Favoriten unter den Alpenblumen!


ein Duckmäuser ist hingegen das Rundblättrige
Täschelkraut (Thlaspi rotundifolium), doch die Kleine
weiss schon, warum sie den Kopf nicht zu hoch trägt
und sich umso mehr in die Tiefe ausbreitet!
Wurzelsystem des Rundblättrigen
Täschelkrautes (Quelle: Wurzelatlas
mitteleuropäischer Grünlandpflanzen 2/1)



Nanu, Himmelsherold? Nicht ganz, aber das nicht minder schöne
Alpen-Vergissmeinnicht (Myosotis alpestris)


der Berg-Löwenzahn (Leontodon montanus)
ist ein weiter Bergler, der hart im Nehmen ist.



sein kräftiger, schief im Hangschutt liegender „Wurzelstock“
bildet kräftige Faserwurzeln, die eine Verankerung in tieferen,
 stabileren Bodenschichten ermöglichen


man staunt immer wieder, welch kräftige
Farben die Alpenblumen entwickeln:
Alpen-Leinkraut (Linaria alpina) et alia



Kalk-Polsternelke (Silene acaulis)





das verborgene Wurzelsystem der Kalk-Polsternelke dringt tief in das Gestein ein.
Durch den gedrungenen Wuchs erzeugt sie im Polster
ein eigenes Mikroklima und ist somit gut an extreme Verhältnisse angepasst.
Das Polster kann bis zu 2 Meter breit und 100 Jahre alt werden
(Quelle: Wurzelatlas mitteleuropäischer Grünlandpflanzen 2/1).



Alpen-Berufkraut (Erigeron alpinus aggr.)

Schweizer Labkraut (Galium megalospermum)





der Zwerg-Liebstock (Ligusticum mutellinoides)
hat fiederschnittige Hüllblätter



Berg-Spitzkiel (Oxytropis jacquinii)
auch die Schwarze Schafgarbe (Achillea atrata)
ist ein Spezialist der Kalkschutthalden

Zweizeiliger Goldhafer 
(Trisetum distichophyllum)


Kleine Trauer-Segge (Carex parviflora)






hinter der zarten Erscheinung verbirgt sich eine enorme Resilienz:
Gletscher-Hahnenfuss (Ranunculus glacialis)


Triglav-Pippau (Crepis terglouensis cf.)



nicht zuletzt geniesse ich auch die Aussicht und
die Berglandschaft mit ihren uralten Erosionshalden






um mich anschliessend wieder aufs Kleine zu fokussieren:
Zwergorchis (Chamorchis alpina)



zuweilen kommt man sich wie auf dem Mond vor....

um gleich nebenan zu staunen über ein Blütenmeer!


das Edelweiss (Leontopodium alpinum)
darf nicht fehlen; im Hintergrund das Oldenhorn
daneben schon wieder 
die Zwergorchis!



der Star des Tages war sicher diese an 
geschützter Lage wachsende Pflanze:
Nickender Steinbrech (Saxifraga cernua)
diese in den Alpen als Glazialrelikt bezeichnete
Pflanze ist an sich häufig - im arktischen Bereich -
jedoch in den Alpen sehr selten anzutreffen

sie bildet in den Blattachseln rötliche Bulbillen
zur vegetativen Vermehrung und
oben eine einzelne Blüte


Zwerg-Gänsekresse (Arabis bellidifolia)


Sternblütiger Steinbrech (Saxifraga stellaris)




da musste ich eine Weile überlegen,
was das eigentlich ist. Ob man's glaubt
oder nicht: auch ein Steinbrech!
Mannsschild-Steinbrech (Saxifraga androsacea)
immer eindrücklich zu sehen, wie diese Art
mit den Felsen quasi verschmilzt:
Schweizer Mannsschild (Androsace helvetica)




Veilchen im Geröll? Tatsächlich ist das Mont-Cenis-Stiefmütterchen
(Viola cenisia) ein Spezialist der Kalkgeröll-Halden!

Alpen-Spitzkiel (Oxytropis campestris)


Wurzelsystem des Alpen-Spitzkiels 
(Quelle: Wurzelatlas mitteleuropäischer Grünlandpflanzen 2/1)


Bewimperter Mannsschild (Androsace chamaejasme)
glücklich fahre ich wieder hinab zum Col du Pillon.
Im Hintergrund das Schluchhore.


Fazit: die Steinwüste hat sich als unerwartet bunt erwiesen, etwas,
das Spelterini entgangen sein dürfte, der dafür ganz anderes sah!