Mittwoch, 27. Juli 2022

ein Botaniker kommt nicht vorwärts...

wie ein Sportler; das ist wahr. Doch ist das auch nicht weiter schlimm, denn nur so kommt er vorwärts. Was paradox klingt, erklärt sich leicht: je langsamer der Blumenfreund unterwegs ist, desto mehr sieht er am Wegesrand. Ein, zwei Kilometer können die Welt bedeuten, und das Schöne daran, nicht von Ort zu Ort, von einer Tour zur nächsten zu hetzen, ist die Möglichkeit, längere Zeit an einem Ort zu verweilen und Details zu betrachten, die bei normalem Wandertempo übersehen würden. Dabei wird man auf so manch Unscheinbares aufmerksam, so z.B. auf den seltenen Hain-Wachtelweizen, von dem es nördlich von Vevey da und dort noch grössere Bestände gibt.   

Die streng geschützte Pflanze zählt zu den Halbschmarotzern, die bezüglich ihrer Wasser- und Nährsalzversorgung auf Wirtspflanzen angewiesen sind. Die Pflanze selbst kann zwar Photosynthese betreiben, doch durch spezielle Saugorgane (Haustorien) an den relativ schwach entwickelten Wurzeln ist sie mit den Wurzeln ihrer Wirte verbunden. Um gegen die Saugkraft der Wirtspflanze an Nährstoffe aus dem Saftstrom des Wirtes zu gelangen, ist die Transpirationsrate des Hain-Wachtelweizens besonders hoch. Als Wirte fungieren Gräser, aber auch Gehölze.

Hier ein paar Aufnahmen von einer Miniwanderung des Blumenwanderers am Mont Pèlerin oberhalb des Genfersees, bei dem er zufällig auch auf das Haus des berühmten Botanikers Emile Burnat stiess.


trotz der Hitze: herrliche Aussicht auf den Léman 


kaum auffallend, aber einfach zu bestimmen
sehe ich in einem bewaldeten Bereich....

die ersten Hain-Wachtelweizen
(Melampyrum nemorosum).



dass es sich nicht um den Wald-Wachtelweizen
handelt, sieht man an den breit-herzförmigen,
blauviolett überlaufenen Hochblättern
sie bilden einen auffälligen Farbkontrast
zu den gelben Blüten



"Il a fallu qu'un petit jeunot curieux passe le long de la route
Attalens - Mt. Pèlerin un certain jour d'août 1961
et voici à nouveau Melampyrum nemorosum
qui attire un regard", schreibt Pierre Mingard
und etwa so erging es dem Vieillot
von einem Blumenwanderer,
als er unterhalb des Pèlerin
ein Strässchen entlangspazierte


wie schön ist doch auch eine ansonsten häufige Art
wie die Kleine Brunelle (Prunella vulgaris)


an einem Feldweg komme ich aus dem Staunen nicht heraus:
im Halbschatten eines Gebüschsaumes wuchert der Hain-Wachtelweizen nur so vor sich hin!


die Hochblätter scheinen die Aufgabe zu haben,
Melampyrum nemorosum zum attraktiven Blickfang
für blütenbesuchende Insekten zu machen



in grösserer Zahl bietet die spektakuläre Pflanze
einen schönen Blühaspekt







begleitet wird der Hain-Wachtelweizen
vom Mittleren Klee (Trifolium medium)


die zu den Sommerwurz-Gewächsen gehörende Pflanze 
wird bis zu 50 cm hoch




beim Landgut des Botanikers Emile Burnat (1828-1920)
lasse ich den zauberhaften Tag ausklingen




Mittwoch, 13. Juli 2022

die Borstige Glockenblume

Unsere Wälder waren früher nicht "dunkel und schwarz", und ähnelten keineswegs dem, was wir heute als geordneten "Stangenwald" kennen. Ganz im Gegenteil waren sie licht, nährstoffarm und artenreich. Dazwischen erstreckten sich Magerrasen und blütenreiche Flächen, die zahlreichen Arten einen Lebensraum ermöglichten, die wir heute nur noch aus wenigen Reservaten kennen. Die Eutrophierung ab den 1960er Jahren und das Zuwachsen mit Brennesseln und Brombeeren brachte schließlich viele Wald-Lebensräume zusammen mit ihren Bewohnern an den Rand des Erlöschens.

Ein Beispiel für eine solche gefährdete Waldart ist die Borstige Glockenblume (Campanula cervicaria). Diese ganz ungewöhnliche Glockenblumenart mit dichten, kopfigen Blütenbüscheln, die über einen Meter hoch werden kann, ist eine überaus wertvolle, charakteristische und besondere Art. Sie ist heute in der Schweiz leider stark gefährdet. Dem Namen nach würde man sie ja eher zu den widerstandsfähigeren Pflanzen zählen, doch ist dem nicht so. Seit Jahren schon ist sie auf der Liste der gefährdeten Pflanzen zu finden. Das nicht nur in der Schweiz, sondern europaweit.



Glänzender Kerbel (Anthriscus nitida)

am Wegrand ist hier auch der schöne
Mittlere Klee (Trifolium medium) anzutreffen




von allen europäischen Klee-Arten ist er derjenige,
der mit der geringsten Lichtmenge auskommt


eher ungewöhnlich fürs Mittelland....
ist diese geisterhafte Erscheinung.

es handelt sich um eine Orchideenart,
und zwar.....
die Kleinblättrige Stendelwurz 
(Epipactis microphylla).


hier ist auch die Heimat des Wald-Geissblatts (Lonicera periclymenum)




unscheinbar tauchen auf einmal erste
Stängel mit verdächtigen Knospen auf




und bald schon leuchtet es blau aus dem Dunkel!





das Areal der Borstigen Glockenblume
(Campanula cervicaria) reicht
von Mitteleuropa bis Westsibirien

ursprüngliche Lebensräume dieser Art
 sind Waldlichtungen und lichte Wälder.
Sekundär besiedelt sie Wald- und Gehölzsäume.


die Blüten sind in wenigblütigen Büscheln
in den Achseln der oberen Stängelblätter
sowie zu einem endständigen Köpfchen vereint

verzückt bleibt der Blumenwanderer
vor dieser Schönheit stehen und beobachtet,
wie sie von Schwebfliegen angeflogen wird

bei genauerem Hinsehen wartet hier
eine Krabbenspinne auf Beute
die grundständigen Blätter mit ihrer
steifborstigen Behaarung


die Spinne hatte Jagdglück
eine unserer auffälligsten Waldpflanzen ist
der Grossblütiger Fingerhut (Digitalis grandiflora)
.


ganz anders die unscheinbare Berg-Platterbse (Lathyrus linifolius)




Montag, 4. Juli 2022

durchs wilde Zwischbergental

Schon wieder ein Glanztag im Südsimplon-Gebiet! Wie vor zwei Jahren (siehe der Beitrag vom 2. August 2020) besuchte der Blumenwanderer wieder das Zwischbergental. Gegenüber Gondo an der Grenze zu Italien windet sich eine Strasse auf eine Terrasse. Dahinter öffnet sich ein wunderschön urtümliches, etwa sechzehn Kilometer langes Tal - das Zwischbergental.

Die Schmugglerroute über den Monscera-Pass war während der beiden Weltkriege lebenswichtig. Heute entdecken vor allem Wanderer, Biker und Fischer die dichten Wälder, blumenübersäten Alpen und erfrischenden Bergseen von Zwischbergen, wie diese Walliser Gemeinde mit dem beschreibenden Namen heisst.

Der Blumenwanderer schätzt - wie könnte es anders sein - vor allem die originelle Flora des Gebiets, dessen insubrisch geprägtes Klima (mit höheren Niederschlagsmengen und weniger grossen Temperaturunterschieden zwischen Sommer und Winter) einige Pflanzen begünstigt, die es im Laufe ihrer Besiedlung nicht über den Simplon hinaus geschafft haben und denen das Klima der kontinental geprägten Nordseite nicht behagt.


zuerst macht der Blumenwanderer noch einen Abstecher in der Gondoschlucht...


zu diesem Blühwunder mit den unzähligen Blütenwölkchen.
Doch ist es dies kein Bärenklau!


es ist ein Doldenblütler, den
der Apiaceen-Fan schon lange suchte

und zwar der Rippensame (Pleurospermum austriacum),
welcher in der Schweiz nur an wenigen Stellen zu finden ist


der daumendicken Grundachse entspringen
zahlreiche Blätter und
oben lange Doldenstrahlen

Habitus der imposanten Pflanze,
die fast mannshoch werden kann

dort auch der nicht minder eindrückliche 
Striemensame (Molopospermum peloponnesiacum),
der nun bereits fruchtet. Auffallend ist,
dass die Seitendolden keine Früchte bilden.


hier wachsen die beiden Dolden-Giganten originellerweise
gleich nebeneinander und lassen sich somit gut vergleichen:
links der Rippensame, rechts der abgeblühte Striemensame!



eine nicht minder stattliche Staude ist
die Alpen-Bergscharte (Stemmacantha rhapontica),
auch Riesen-Flockenblume genannt



die körbchenförmigen Blütenstände
sind sehr gross
hier mit dem Thymian-Widderchen
(Zygaena purpuralis)





die grossköpfige und riesenblättrige Art ist
eine der auffallendsten Gestalten
unter den alpinen Hochstauden



Rautenblättrige Glockenblume
(Campanula rhomboidalis)



mir gefallen die einfachen Steinhäuser des Gebiets





Färber-Ginster (Genista tinctoria)


Schwarzwerdender Geissklee (Cytisus nigricans),
beide direkt am Strassenbord wachsend



zwei Ginster im Vergleich:
links Deutscher Ginster (Genista germanica,
noch nicht blühend) und rechts
der Färberginster (G. tinctoria)


Moschus-Schafgarbe (Achillea erba-rotta ssp. moschata).
Der Berner Naturgelehrte Albrecht von Haller berichtete
 im 18. Jahrhundert über die medizinische Wirkung der
auch Iva-Pflanze genannten Art: die Bergbewohner
 würden die Essenz gegen Blödigkeit, Unverdaulichkeit,
 Blähungen und Bauchschmerzen nutzen.




Feder-Flockenblume (Centaurea nervosa)

Hallers Laserkraut (Laserpitium halleri)



Blick zurück Richtung Fah-Stausee


Alpen-Berufkraut (Erigeron alpinus)


blumenübersät sind nun die Alpmatten





 eine botanische Perle des Zwischbergentals
ist die Grossblumige Hauswurz
(Sempervivum grandiflorum)


ihre Blätter mit den dunklen Spitzen sind überall
drüsig bewimpert und riechen würzig nach Harz




ihre hellgelben Blüten sind aussergewöhnlich
für unsere heimischen Hauswurze

sie sind sehr gross
und sternförmig ausgebreitet

Alpen-Aster (Aster alpinus)



immer wieder begegnet man auch
Feuerlilien (Lilium bulbiferum ssp. croceum)


der für das Gebiet typische 
Strauss-Steinbrech (Saxifraga cotyledon)


auch dies ein Steinbrech:
Bach-Steinbrech (Saxifraga aizoides)





Einköpfiges Ferkelkraut (Hypochaeris uniflora)

Felsen-Leimkraut (Silene rupestris)





und wieder kommt die sehr seltene
Hauswurz in Sicht

teilweise über Abgründen wachsend


Habitus im Habitat,
 wie man so schön sagt

ihre grossen Blüten begeistern
den Blumenliebhaber



diese Pflanze scheint nicht recht Farbe
bekennen zu wollen: ein durch Hybridi-
sierung entstandenes Exemplar

die Hauswurz wächst dort, wo es sonst nur wenige
 andere Pflanzen aushalten. Sie erträgt Hitze, Trockenheit
 und Kälte problemlos und behält auch im Winter ihre Blätter.
Hier die häufige Berg-Hauswurz (Sempervivum montanum).



an den Hang gebauter Stall aus Stein und ohne Mörtel

Blick Richtung Passo d'Andolla, wo bereits Italien beginnt

hinter dem Brücklein ist wieder der Fah-Stausee zu sehen