Montag, 22. April 2019

Blueschtfährtli

Im Gegensatz zur bewundernswerten Christine Thürmer ist der Blumenwanderer kein Langstreckenwanderer, sondern ein Kurzstreckenwanderer. Manchmal nicht einmal das, sondern nur Automobilist und Spaziergänger. Dennoch (oder gerade deswegen?) sieht er so einiges von den vegetabilen Juwelen am Strassen- oder Wegesrand.
Gerade dies ist aber das Vergnügliche am Feldbotanisieren: auch ohne Extremwandern kommt man zu schönen Natur-Erlebnissen, im Lenz manchmal fast auf Schritt und Tritt. Diesmal auf einem Karfreitags-Blueschfährtli rund um Bern und über Krauchthal zurück.


zauberhaft und poetisch wirkt diese Blume, die bei uns relativ selten zu sehen ist:
der Nickende Milchstern (Ornithogalum nutans)

diese Milchstern-Art stammt eigentlich aus der
West-Türkei, aus Bulgarien und aus dem Osten
Griechenlands, und ist heute bei uns verwildert

in der Barockzeit wurde sie in Europa
als Zierde für Schloss- und Klostergärten angepflanzt






hier das einheimische Pendant

es ist der Doldige Milchstern (Ornithogalum umbellatum)

auch er eine Bellezza mit reinweissen Blüten

auch im Frühjahr gibt es Pilze:
diese Morcheln hatten einen Durchmesser von etwa 10cm!
die lustigen Einzelblüten der Gundelrebe (Glechoma hederacea). Etwas Botano-Speak gefällig?
 Krone blauviolett, mit vorn stark erweiterter Röhre, flacher, ausgerandeter Oberlippe und 3-spaltiger Unterlippe mit grossem, ausgerandetem, bärtigem Mittellappen, ohne Saftdecke. Staubblätter 4, parallel unter der Oberlippe aufsteigend; die hinteren länger als die vorderen. Antheren mit rechtwinkelig spreizenden Pollensäcken, derart genähert, 
dass je ein Paar eine Kreuzfigur bildet. Griffel in 2 kurze, gleiche, spitze Narbenäste gespalten. (aus: Hegi: Band 5.4)
auch eine ganze Gundelreben-Flur kann entzücken.
Die auch Gundermann genannte Art gehört zu meinen Lieblingen
und bereichert meinen Speisezettel!


der Wendich (Calepina irregularis) ist eigentlich eine
Mittelmeerart und kommt in der Schweiz nur zerstreut vor

hier die bogig aufsteigenden Stängel dieser Art,
die innerhalb der Gattung Calepina die einzige ist
irregulär an der Kalepine sind ihre ungleich grossen Blütenblätter


Mittlere Winterkresse (Barbarea intermedia)


der Genfer-Günsel (Ajuga genevensis)
mit seinen leuchtend dunkelblauen Blüten



Oestlicher Wiesen-Bocksbart
(Tragopogon pratensis ssp. orientalis)

Kleiner Wiesenknopf (Sanguisorba minor)

schon zeigt auch die Wiesen-Salbei (Salvia pratensis) Farbe


Dunkelgrünes Lungenkraut (Pulmonaria obscura)

ein Sauerklee-Gärtli (Oxalis acetosella)




hier ein "Edelgärtli" mit Dreiblättrigem Schaumkraut
(Cardamine trifolia), ein eher seltener Anblick fürs Mittelland



die sonst montan verbreitete Art wurde hier vermutlich irgendwann
in der Vergangenheit angesiedelt und hat sich mitten in einem Wald prächtig ausgebreitet



Weinberg-Tulpe (Tulipa sylvestris ssp. sylvestris)...


mit Spinne.



nicht fehlen darf das jetzt überall blühende
Buschwindröschen (Anemone nemorosa) und ...

die erst erblühende Goldnessel
(Lamium galeobdolon ssp. argentatum)


ob geschlossen oder geöffnet sind die Blütenstände des
Aronstabs (Arum maculatum) eine Sensation




dasselbe lässt sich meines Erachtens von der
Steifen Segge (Carex elata) sagen


oben der männliche Blütenstand mit "Mähne",
unter der filigrane weibliche


zwei Gelbblüher: links die Bachbumele (Caltha palustris),
oben der Gold-Hahnenfuss (Ranunculus auricomus)




alle Weiden sind zweihäusig. Bei ihren Blütenständen
gibt es "stachlige" Weibchen (mit Griffeln) ....
und "flauschige" Männchen (mit Staubblättern),
hier am Beispiel der Salweide (Salix caprea) gezeigt.







Sonntag, 14. April 2019

Follatères revisited

Der Blumenwanderer wurde auch schon gefragt, ob man eigentlich verrückt sein müsse,
um so leidenschaftlich den Blumen nachzugehen.
"Nein", sagte er ungewohnt schlagfertig, "aber es hilft ungemein."

Im Ernst: wenn der Blumenwanderer auch ausserhalb des Februars mehrmals die Walliser Follatères aufsucht, so nicht, weil er von Sinnen wäre, sondern weil die xerotherme Vegetation hier ihre reichste Entfaltung erlangt. Jeder Monat präsentiert seine eigenen Blumen. Jetzt ist der Erstfrühling an diesem reich strukturierten Südhang eingekehrt!

Und aus Erfahrung kann der Blumenwanderer sagen, dass die Trockenflora alles andere als trocken ist. Hoffentlich geben diese anfangs April entstanden Aufnahmen einen kleinen Eindruck davon....



eine wunderschöne Hahnenfussart ist
der Knollige Hahnenfuss (Ranunculus bulbosus).
Er liebt trockene, magere Wiesen und Wegränder.





Dass die grossen, zwischen hohen Ketten eingeschlossenen Längstäler der Alpen ihr eigenes trockenes Klima und eine entsprechende, heute xerotherm genannte Flora haben,
ist zuerst für das Wallis klar geworden (z.B. Gams, 1927)




eine knitter-knatter-Blume der besonderen Art ist
der Saat-Mohn (Papaver dubium)

hier wächst er tatsächlich wie angesät



weil sie so schön sind, hier gleich nochmals
zwei dieser ephemeren Papierblüten





und nun noch etwas Blaues:
der Krummhals (Anchusa arvensis) wächst aus dem Gras hervor





die extravaganten Blütenstände der
Schopfigen Traubenhyazinthe (Muscari comosum)

die sterilen blauvioletten Blüten oben
haben nur Schaufunktion


ebenso schön sieht sie in den Knospen aus.
Die Blätter ziehen früh ein und sind im Sommer verschwunden.
Ihre Zwiebeln werden in Süditalien als "Lampascioni" gegessen!


trotz mörderischer Hitze im Sommer wird
jede Ritze besiedelt, so thront hier im oberen Teil
der Dickblättrige Mauerpfeffer (Sedum dasyphyllum)

Dach-Hauswurz (Sempervivum tectorum)

beeindruckt hat mich hier vor allem der Kontrast
zwischen dem vorjährigen Blattheu und 
den extrem feinen Neutrieben darüber


hier treiben drei Streifenfarne neu aus:
links der Nordische Streifenfarn (Asplenium septentrionale),
oben die Mauerraute (Asplenium ruta-muraria)
und unten der Schriftfarn (Asplenium ceterach)


da sage noch jemand, die Farne würden es alle schattig-feucht lieben!

in diesem Felsengärtli von etwa vierzig Zentimeter Durchmesser
sind bei genauem Hinsehen mindestens zehn Pflanzenarten zu erkennen

zwei Kleine wie angesät und beide schon bereit zur
Neuaussaat: Dreifinger-Steinbrech (Saxifraga tridactylites)...

und Stängelumfassendes Täschelkraut 
(Thlaspi perfoliatum) mit Schötchen-Gewühle.




ausdauernder Knäuel (Scleranthus perennis)
von wenigen Zentimetern Höhe

so geht es, wenn man den Pilz einfängt:
Zypressen-Wolfsmilch (Euphorbia cyparissias)



Erdrauch (Fumaria officinalis)

im Unterholz überall gerade aufblühend:
Turm-Gänsekresse (Arabis turrita)


beim Anblick dieser ca. 30cm hohen
Riesen-Schlüsselblumen erschrak ich fast


es ist eine Sonderform der Frühlings-Schlüsselblume,
und zwar die Südliche oder Graufilzige (Primula veris ssp. columnae)





in schattiger Lage befindet sich...


das Knoblauchsrauken-Eldorado (Alliaria petiolata).
Heute noch werden ihre jungen Blätter in England häufig 
für Sandwichfüllungen verwendet.




auch schon zwei Orchideenarten blühten:
die Holunder-Fingerwurz (Dactylorhiza sambucina) ...

und das Kleine Knabenkraut (Orchis morio),
beide nicht viel mehr als ein paar Zentimeter hoch.




leuchtete fast irreal aus der dunklen Matte:
Bewimperte Gänsekresse (Arabis ciliata)
 mit leicht hängenden Köpfchen und "Glöckchenblüten"



Orchis morio: am Stängel befinden sich mehrere 
Scheidenblätter, die die Knospen schützen

die Kugelsamige Platterbse (Lathyrus spaericus)
ist ein mediterranes Florenelement




Dieser z. T. windende Therophyt ist in den Südalpen möglicherweise als Archaeophyt früh eingewandert und vollständig eingebürgert
oder aber urwüchsig mit Reduktion auf Reste eines
in einer postglazialen Wärmezeit grösseren Areals
(aus: Käsermann, Merkblätter Artenschutz, 1999)




in den Follatères findet man die
unscheinbare Art vor allem ...

am Rande der Rebberge.




diese Art gilt in der Schweiz insgesamt als gefährdet.
Einzig in den Follatères ist sie noch etwas weiter verbreitet.








noch ist vom typischen Breitsamen nichts Blühendes zu sehen,
dafür umso mehr vom schönen Blasenschötchen
(Alyssoides utriculata)

diese Art fristet in den Felsen des Unterwallis
ihr exklusives Dasein in der Schweiz


ein pannonisch-mediterranes Florenelement
ist der Zwiebel-Steinbrech (Saxifraga bulbifera)

diese stark gefährdete Pflanze fühlt sich
durch ihre vielen Drüsenhaare klebrig an



Schon früh hoben die Botaniker den krassen Gegensatz zwischen den steppenhaften 
inneren Alpentälern und dem reich bewaldeten Alpenvorland hervor.
Hier ein postglazial ins Wallis eingewandertes östlich-kontinentales Florenelement 
aus den Steppen Asiens: der Frühlings-Adonis (Adonis vernalis). 
Er stammt ursprünglich aus Sibirien und dem Altaigebirge
und hat es tatsächlich bis in unsere Follatères geschafft!