Freitag, 24. November 2023

im Tal der grünen Fee

Vergöttert, verteufelt, verboten, heimlich weiter produziert und dann - nach 95 Jahren - wieder erlaubt. Absinth hat eine sagenumwobene Geschichte. Das Verbot hat die Faszination der Grünen Fee nicht geschmälert, vielmehr hat es sie zum Mythos gemacht, im Val-de-Travers und darüber hinaus. Der hochprozentige Schnaps aus dem Neuenburger Jura hatte ab der Mitte des 18. Jahrhunderts einen beispiellosen Aufstieg. Der enorme Konsum hatte aber Schattenseiten: Alkoholismus, Absinthismus - die Grüne Fee wurde verboten. Im Val-de-Travers jedoch ging es weiter. Hinter verklebten Fenstern, in Hinterzimmern und Kellern wurde heimlich weiter destilliert und gebrannt. Der Schwarzhandel blühte, tausende Liter Absinth wechselten die Besitzer, ein lohnender Zusatzverdienst für viele.

Der Absinth enthält mit seinen botanischen Zutaten wie Wermut (Artemisia absinthium), Anis (Pimpinella anisium) und Fenchel (Foeniculum vulgare) eine spannende doldenblütige Note. Nicht der Hochprozentige indes lockte den Blumenwanderer ins Val-de-Travers, sondern wie jeden Herbst hatten es ihm einige alte und aussergewöhnliche Bäume angetan. Dazu musste er allerdings erst einmal die etwas gfürchige Gegend von Pouetta Raisse südlich von Môtiers durchqueren. Diese wilde Schlucht mit ihren vielen Treppenstufen und Stegen behagte ihm nicht, und so war er froh, sich unvermittelt auf einer Juraweide wiederzufinden......


Blick zurück ins Val-de-Travers: unten das Schloss von Môtiers,
im Hintergrund Fleurier und der bekannte Chapeau de Napoléon


nicht konnte der Blumenwanderer es lassen,
in Môtiers eine Flasche...
des ortsüblichen Elixiers zu erstehen.



bald jedoch schon nahm er vom Schloss Môtiers aus
die Schlucht von Pouetta Raisse in Angriff




das Wort "pouet" kommt aus dem regionalen
Patois und bedeutet: hässlich und stinkend

und auch dem Blumenwanderer kam
die Lokalität nicht gerade lieblich vor

immerhin gab es daselbst noch einen botanischen
Leckerbissen in Gestalt des schon abblühenden
Kambrischen Scheinmohns (Meconopsis cambrica)
sich umblickend war er aber insgesamt froh,
dass er das Loch hinter sich lassen....


und eine schöne Juraweide
mit diesen grossen Buchen (Fagus sylvatica) betreten konnte.


auch die jahreszeittypische Art
darf nicht fehlen: Herbstzeitlosen
(Colchicum autumnale)



am Ende eines langen Baumlebens bleibt
das Gerippe, das hier liegenbleiben darf



solch grosse Wacholder (Juniperus communis)
wie hier sieht man selten






der Holz-Apfelbaum (Malus sylvestris) mit seinen
kleinen Früchten ist im Jura recht häufig

und hier kommt das Ziel der Wanderung in Sicht:
der sogenannte Gogant von Ronde Noire,
eine der wohl urchigsten Wettertannen der Schweiz


im lokalen Patois bedeutet Le Gogant eine einzeln
  stehende Weisstanne (Abies alba) von aussergewöhnlicher Grösse. Mit zunehmendem Alter erreicht sie ein von anderen Bäumen im Wald nie gekanntes Ausmass und wird somit zu einem Zufluchtsort für Menschen und die Tierwelt.



der sog. Brusthöhenumfang beträgt
7,5 Meter! Zum Vergleich meine
Wanderstöcke daneben

es wird geschätzt, dass die phänomenale Dame
mehr als 350 Jahre alt ist. In dieser Zeit hat sie
Stürmen, Blitzen und nicht zuletzt auch 
dem Menschen getrotzt


mehrstämmige Rot-Buche
(Fagus sylvatica)...
gleich neben dem Riesen.


auf einer anderen Weide treffe ich auf diese zwei Bergahorne (Acer pseudoplatanus),
links einer in üblicher Grösse, doch derjenige rechts.....


ist einer der eindrücklichsten Bergahorne
unseres Landes.

dieser Bergahorn hat einen Stammumfang von 6 Meter
 und eine Kronenbreite von unglaublichen 38 Metern!


unter ihm macht der Blumenwanderer lange Rast


wie wohl der herzförmige Stein über
meinem Rucksack in den Stamm geraten ist?

schon neigt sich die Sonne dem Horizont zu
und mahnt zum Aufbruch





zurück bleiben schöne Erinnerungen an einen goldenen Herbsttag




Donnerstag, 7. September 2023

"Grand-Tour of Zermatt"

Nein, der grösste ist er nicht, aber zweifellos der markanteste Berg der Alpen, wahrscheinlich der ganzen Welt. Mit seinem reinen und klaren Aufbau verkörpert das Matterhorn geradezu die Idee eines Berges: Sockel, Wandflächen, Grate und Spitze – alleinstehend, kühn, himmelstrebend! Dabei ist "ds Hore" bei Weitem nicht die einzige Attraktion der Bergwelt über dem Mattertal. 

Denn die Botaniker sind sich einig: Die Zermatter Flora ist ein Eldorado für Blumenfreunde. Hier entdeckt man spezielle Blumen und Gräser, die weltweit einzigartig sind. Das Schöne für die Gäste und insbesondere für den Blumenwanderer: es ist einfach, diese Blumen zu entdecken – dank der Bergbahnen und den 400 km Wanderwegen!

Nicht wirklich übertrieben ist es, eine Wanderung als Grand Tour zu bezeichnen, die der Blumenwanderer Ende Juli am Fuss des Matterhorns machte. Wie das? Die Traumstrecke vom Schwarzsee Richtung Hörnlihütte bot zwar nicht die üblichen touristischen Highlights auf solchen Reisen, war aber insbesondere in botanischer Hinsicht ein erstklassiges Erlebnis. Dem guten Blumenwanderer wurde fast schwindlig, nicht unbedingt wegen der dünnen Luft, wohl aber angesichts der einzigartigen Florenzusammensetzung dort oben.


mit der Seilbahn gelangt man von Zermatt
rassig auf 2600 Meter Höhe
zur Station Schwarzsee.
Von hier gehen viele Wanderwege ab.


der namensgebende Schwarzsee
mit der Kapelle "Maria zum Schnee"



diesen Seltling wollte ich schon lange
mal sehen: das Vielteilige Fingerkraut
(Potentilla multifida)


und daneben gleich ein weiterer Unscheinbarer:
der Alpen-Gelbling (Sibbaldia procumbens)



schon in der Nähe des Sees an feuchten Stellen
wird's spannend mit diesen zwei seltenen Seggen


sie können hier als nordische Glazialrelikte gelten:
links Zweifarbige Segge (Carex bicolor),
oben Binsenblättrige Segge (Carex maritima)



Schneetälchen-Segge (Carex foetida)


Scheuchzers Wollgras (Eriophorum scheuchzeri)


Schlangen-Wegerich (Plantago serpentina)




Schweizer Spitzkiel (Oxytropis helvetica)




Lappländer Spitzkiel (Oxytropis lapponica)


Alpen-Hornklee (Lotus alpinus)




Alpen-Kratzdistel (Cirsium spinosissimum)


Spinnweb-Hauswurz (Sempervivum arachnoideum)




Blasser Klee (Trifolium pallescens)

Krummblättrige Miere (Minuartia recurva)






einer meiner Favoriten hier oben ist zweifelsohne
die Mont Cenis-Glockenblume (Campanula cenisia).
Ebensogut könnte sie Matterhorn-Glockenblume heissen!
(Besten Dank an Paul Hürlimann für diese Aufnahme!)



um die Zwergorchis (Chamorchis alpina)
zu entdecken....
braucht es einige Übung und gute Augen.





was blüht denn hier so unscheinbar im Felsschutt?






es ist doch tatsächlich der Rätische Pippau
(Crepis rhaetica)! Den kleinen Korbblütler
mit dem kurzen Stängel sehe ich hier zum erste Mal.



ein botanisches Highlight einer jeden Alpenexkursion
sind immer auch die Kissen dieses Raublattgewächses:
Himmelsherold (Eritrichium nanum)


es wird vermutet, dass es sich beim Himmelsherold um eine sehr alte Pflanze handelt,
die sogar die letzte Eiszeit erfolgreich überdauert hat. Experten schließen dies aus
dem lückenhaften Verbreitungsgebiet im Gebirge. Auch in der Eiszeit gab es eisfreie Gipfel,
so genannte Nunatakkern, auf denen z.B. der Himmelsherold sein Bestehen
seit Jahrtausenden gesichert haben soll. 


das ausgedehnte Wurzelsystem des Himmelsherolds 
ist eine Anpassungsleistung an wasserarme Standorte
(Quelle: Wurzelatlas der Uni Wageningen)


spätestens wenn das berühmte Hirli (Hörnli) in Sicht kommt, merkt man,
dass die Landschaft immer wüstenhafter wird. Dank eines gesicherten
Aufstiegs ist die Route fleissig begangen.




und überall versteckt sich das Objekt meiner
Bewunderung, die Mont-Cenis-Glockenblume!




Herrman Christ schrieb: „ Denn wo Kampf und Sieg so augenfällig, und sei es auch
nur im stillen Gebiet des Pflanzenlebens, da ist es uns nicht gegeben,
stille Zuschauer zu bleiben!" und so bleibt auch der Blumenwanderer nicht still
und singt das Loblied der Alpenpflanzen, die perfekt an die harschen
Bedingungen strenger Winter angepasst sind!




diese Pflanze in der Mondlandschaft sehe ich zum
ersten Mal: Drüsiger Spitzkiel (Oxytropis fetida),
hier schon fruchtend



es hat mich tief beeindruckt, wie diese Lebewesen 
auch in unwirtlichster Umgebung überleben können
(Besten Dank an Paul Hürlimann für diese Aufnahme!)


das Leben setzt sich wundersamerweise
 auch im Felsen durch:

links Niedliche Glockenblume (Campanula cochleariifolia),
oben Alpen-Leinkraut (Linaria alpina)





etwas Mondhaftes hat die Gegend hier oben schon


eine Erinnerung an den Urheber
all der Herrlichkeit!


Das Kreuz hier oben:
Hoffnungszeichen oder Warnung vor menschlicher Hybris?
Im Hintergrund der Todesberg mit seiner Leewolke.
Er hat bisher an die 600 Todesopfer gefordert und
ist damit einer der tödlichsten Gipfel der Welt!



da muss man durch, aber nur
nicht zu sehr nach unten schauen, ....

sondern den Blick sofort wieder auf die Pflanzen gerichtet,
die es auch hier gibt:
Alpen-Berufkraut (Erigeron alpinus)




diese Art steht gerade in Vollblüte:
die Zwerg-Miere (Minuartia sedoides)



unter diesem Felsbrocken hat 
die Echte Edelraute (Artemisia umbelliformis)
Zuflucht gefunden


is it the Pathway to Heaven?


auch dieses Polster befindet sich in Vollblüte:
Alpen-Bruchkraut (Herniaria alpina)

einen auffälligeren Anblick boten diese Polster 
des Breitblättrigen Hornkrautes (Cerastium latifolium)





Zarter Enzian (Gentiana tenella)


bei genauem Hinsehen entdeckt man ganz oben
 noch eine einzige letzte Blüte
des Zweiblütigen Steinbrechs (Saxifraga biflora)





sein Wurzelwerk in Auf-und Seitenansicht
(Quelle: Wurzelatlas der Uni Wageningen)


hier wird auf einen Schlag klar,
warum die Ährige Edelraute so heisst
(Artemisia genipi)



auch die Alpen-Gänsekresse (Arabis alpina)
bevorzugt als Standort Schutt, Geröll und Fels





Alpenpflanzen sind "schlaue Füchse". So nutzen sie z.B. die Bodenwärme aus.
Statt in die Höhe zu wachsen, bleiben sie bescheiden am Boden, wie dieses
im Vergleich zu seinen Verwandten weiter unten winzige Nelkengewächs:
die Kalk-Polsternelke (Silene acaulis), die zudem sehr alt werden kann.
Dieser Zwergwuchs ist umso ausgeprägter, je kälter die Durchschnittstemperatur ist. 


leider schon verblüht:
Bläuliche Gänsekresse (Arabis caerulea)


auch der Alpen-Ehrenpreis (Veronica alpina)
schmiegt sich hier an den Boden




das Doldentraubige Täschelkraut
(Thlaspi lerescheanum)...


  ist einer der sieben Zermatter Endemiten,
den ich hiermit zum ersten Mal blühend sehe.





Flachblättriger Steinbrech (Saxifraga muscoides)





beim Abstieg auf der anderen Seite angetroffen:
links die Echte Alpenscharte (Saussurea alpina),
oben das Graue Greiskraut (Senecio incanus)



Federige Flockenblume (Centaurea nervosa)


leider schon verblüht ist das
Monte Baldo-Windröschen (Anemone baldensis)




und immer wieder dieses Phänomen!



im Vorbeigehen auf der Stafelalp noch gesehen:
die leider längst verblühte....
Rautenblättrige Schmuckblume
(Callianthemum coriandrifolium).


Blick hinab auf das abendliche Zermatt