Sonntag, 12. Mai 2019

der Zungenstendel

die Zungenstendel oder Serapias sind eine von den Azoren bis zum Kaukasus verbreitete Gattung der Orchideen mit etwa 15 recht variablen Arten. Die meisten kommen im mediterranen Gebiet vor, eine Art in Georgien, und eine ist auf den Azoren endemisch. Bis in die Schweiz hat es nur der Pflugschar-Zungenstendel (Serapias vomeracea) geschafft, nämlich ins südliche Tessin.

Der deutsche Name ist sehr zutreffend: die Gattung ist unverkennbar durch die auffallend grosse Lippe, die einer Zunge ähnlich schaut.  Der botanische Name leitet sich vom ägyptisch-hellenistischen Gott Serapis ab, der als Sinnbild der Fruchtbarkeit galt. Über Nacht werden die Blüten von Serapias gerne von Insekten als Schlafkämmerlein benutzt (als Nebeneffekt kann die Bestäubung der Pflanze erfolgen). Man spricht in diesem Fall von "Schlafstättenblumen" (auch der Blumenwanderer hätte nichts dagegen, ab und an in einem solchen Blumenhotel zu übernachten)

Neben dieser grossen Rariät begegnete der Blumenwanderer bei einer abenteuerlichen Wanderung  auf dem labyrinthischen Wegenetz an den Hängen oberhalb von Gudo auch einigen weiteren schönen Tessinerinnen.



vom wildromantischen Hang über Gudo
sieht man in der Ferne den Langensee herübergrüssen


insubrische Ueppigkeit

jetzt ist auch die Saison der Rhododendren


diese tollen Ständer waren einen halben Meter hoch

im Hintergrund grüsst der Besenginster ...


und so ist anzunehmen, dass es sich um den
Ginster-Würger (Orobanche rapum-genistae) handelt...


mit seinen rotbraunen Blüten.
Welche Faszination geht von den Würgern aus!


bestätigt wird die Bestimmung durch die arttypischen
tannzapfenartigen Verdickungen an der Stängelbasis.
Der lateinische  Namensbestandteil "rapum" bedeutet "Rübe, Wurzelknollen",
und nimmt auf diesen Umstand Bezug,
womit denn dieser Schmarotzer gleichsam "des Ginsters Rübe" wäre!


und hier des Würgers Wirt:
der Besenginster (Cytisus scoparius) ...

mit seinen auffallend grossen Schmetterlingsblüten!
Doch merkwürdig: ich habe gelernt,
dass die Ginster nie dreiteilige Blätter haben!


obwohl die schöne Pflanze den Wortbestandteil „-ginster“ im Trivialnamen trägt,
gehört sie streng genommen nicht zu den Ginstern (Genista), sondern zur Gattung Geißklee (Cytisus)!

was steht da Bizarres in dieser Wiese?
Es ist ein erster Zungenstendel (Serapias vomeracea), hier ca. 20 cm hoch.

Die beiden oberen Blätter sind .....
wie die Tragblätter und Blüten braunviolett überlaufen.



auch wenn die Scheinerdbeere (Duchesnea indica)
der Kulturerdbeere sehr ähnlich sieht, ist ihr Verzehr 
nicht empfehlenswert, denn sie schmeckt sehr bitter

ganze Wolken von Zypressen-Wolfsmilch
(Euphorbia cyparissias)

Schmalblättrige Futter-Wicke (Vicia sativa ssp. nigra)


Nahaufnahme des Serapias:
der mehrjährige Knollengeophyt erreicht Wuchshöhen von 10 bis 60 Zentimeter
 und hat zwei kugelige unterirdische Knollen


Der Blütenstand setzt sich aus drei bis zehn Blüten zusammen.
Die Tragblätter sind viel länger als der steil aufgerichtete Helm

 Dieser wird aus fünf spitzen Blütenhüllblättern gebildet und ist außen blassviolett bis graulilafarben


der vordere Teil der braunroten Lippe

knospender Zungenstendel



in Tessiner Wäldern nicht ungewöhnlich:
verlassene Steinhäuser aus längst verflossenen Zeiten ...
oder andere Zivilisationsrelikte:
kein Steinzeit-Panzer, sondern ein alter Waschtrog in einer Waldlichtung!


die Schönheit des Blattes des
Berghaarstrangs (Peucedanum oreoselinum)
kommt auf der flachen Foto nicht zu Zuge

Betonienblättrige Rapunzel
(Phyteuma betonicifolium)

Südalpen-Kreuzblume (Polygala pedemontana cf.)





geradezu berauschend war für den Blumenwanderer die erste
Begegnung "in the wild" mit einer unserer schönsten einheimischen
Farnarten, die nicht zu Unrecht Königsfarn (Osmunda regalis) heisst




fotografische Aufnahmen können nur unzureichend
die Schönheit der vegetativen Formen
dieses royalen Farrenkrautes zeigen

 das Entrollen der neuen, zunächst bräunlich gefärbten
 Wedel bietet ein anmutiges Schauspiel


anders als bei vielen anderen Farnen befinden sich
die Sporenträger nicht auf der Unterseite der Blätter, 

sondern getrennt von den sterilen Blattteilen
im oberen Bereich der Wedelblätter.

diese strikte funktionale Aufteilung in ein grünes, steriles Nährblatt
und ein (später) braunes, fertiles Sporenblatt wird als stammesgeschichtlich sehr
 urtümliches Merkmal im Vergleich zu anderen, „moderneren“ Farnarten interpretiert

eine ganze Königsfarn-Flur!
Die Art kommt in der Schweiz nur im Tessin vor.


da scheinen sich zwei gefunden zu haben:
Trauer-Rosenkäfer (Oxythyrea funesta)





nicht selten im Tessin anzutreffen ist
das Dreizähnige Knabenkraut (Orchis tridentata)






auf derselben Wiese wie die Serapien war auch
das Kleine Knabenkraut (Orchis morio) vertreten ....


und ein Sammelsurium von Kreuzungen, ...


deren genaue Zuordnung der Blumenwanderer
gerne den Pedanten und Philistern überlässt.




Mittwoch, 8. Mai 2019

Mäuseschwanz und Hexenrauch

In der vom Blumenwanderer oft konsultierten Online-Enzyklopädie Wikipedia steht über Myosurus minimus, das Starlet dieses Beitrages: "Der Kleine Mäuseschwanz wächst als Therophyt in Herden." Die lustige Formulierung erstaunt, trifft aber durchaus zu, denn solch pflanzlichen Herden bildet dies seltene Hahnenfussgewächs tatsächlich.

Nicht trifft aber eine andere Aussage im besagten Artikel zu, nämlich dass diese Art in der Schweiz möglicherweise ausgestorben sei. Denn erstaunlicherweise gibt es ganze Mäuse-Herden mitten in der Stadt Solothurn an einem vielbesuchten Ort, wo man es eigentlich nicht erwarten würde. Wenn es mit den Zirkussen und Festivals dort indes so weitergeht, dürfte man eventuell das Wörtchen "möglicherweise" bald schon streichen können.

einen bemerkenswerten Beitrag zur Solothurner Stadtbotanik liefert
der Mäuseschwanz (Myosurus minimus)
die Pflänzli waren nicht viel grösser als ein Zehnrappenstück!
für den Standort gilt: "feuchte bis nasse Äcker u. Annuellenfluren; kalkfeindlich"

wenn es vom Mäuseschwänzchen heisst, es sei ein Therophyt,
ist damit gesagt, dass es nur eine kurze Lebensdauer hat und
viele Samen produziert, die dann im Folgejahr neu keimen



auf solch lückigen mageren Böden gedeihen die Herden

seine Samen werden auch als
sog. Regenschwemmlinge verbreitet


man würde zuerst gar nicht vermuten, dass dies kein
Miniatur-Wegerich ist, sondern ein Hahnenfuss-Gewächs.
Damit ist er z.B. eng mit der Bachbumele verwandt!


hier fühlt sich der Kleine wie im Klee!


in der Gattung Myosurus gibt es mehrere Arten
mit einem Diversitäts-Zentrum in Nordamerika.
In Europa kommt nur dieser vor.



In derselben Enzyklopädie Wikipedia wird deutlich, dass es für unsere Haselwurz (Asarum europaeum) eine Unmenge von Trivialnamen gibt wie:

HexenrauchHasenpappel, Aser, Brechhaselkraut, Drüsenkraut, Hasel-Mönch, Haselmünch, Haselmusch, Hasenohr, Hasenöhrlein, Hasenpappel, Hasenpfeffer, Hasewurz, Hasselkräut, Hauswurzel, Kampferwurzel, Leberkraut, Mausohren, Natterwurz, Neidkraut, Nierenkraut, Pfefferblätter, Pfefferkraut, Scheibelkraut, Schlangenwurzel, Schweinsohr, Speiblätter, Spitze Haselwörz, Teufelsklaue, Vogelskappe, Weihrauchkraut, Wilder Nardus und Wilder Pfeffer.

Die Liste nimmt kein Ende. Dazu kommt noch eine Unzahl von regional gebräuchlichen Ausdrücken wie etwa Brechwurz, Haselmuschelen, Haselwort und Haselwürze nur fürs Bernbiet. Wer auch immer all diese Namen zusammengetragen oder erfunden hat, aus dem Ganzen wird klar, dass das durch sie bezeichnete Ding etwas ganz Mysteriöses sein muss.


in einem ganz anderen Lebensraum wächst das zweite Starlet


hier kann man auch die längste freigespannte Brücke der Schweiz
mit einer Länge von 108 Metern überschreiten



Da man sich bei den deutschen Namen frei bedienen kann,
entscheide ich mich für Hexenrauch für diese mysteriöse Art.
Sie wächst mit ihren rundlich-nierenförmigen Blättern meist
etwas versteckt in Laubwäldern. Hier nicht ungewöhnlich ein
grosses Nest bei Wimmis (oder soll ich sagen: eine Herde?)





die Haselwurz gehört zu den ganz wenigen einheimischen
Osterluzeigewächsen (Aristolochiaceae)

hier ist gut zu erkennen, dass die ganze Pflanze
ausser der Blattoberseite behaart ist


entsprechend ihrem Art-Epitheton ist die Haselwurz eine echte Europäerin, 
denn sie ist die einzige in Europa heimische Art ihrer Gattung


die Blüten in Bodennähe bestehen aus
drei verwachsenen, braunpurpurnen Blütenhüllblättern

sie riechen intensiv nach Pfeffer und täuschen gewisse 
Merkmale von Pilzen vor und locken Pilzmücken an,
die für die Bestäubung sorgen (blütenökologisch 
werden sie deshalb „Fliegen-Täuschblumen“ genannt)

man geht davon aus, dass der Namensbestandteil "Hasel" nichts mit Haselsträuchern
zu tun hat, sondern eine volksetymologische Deutung von Asar(um) ist,
was im Altgriechischen "zweiglos" bedeutet.
Ueberhaupt kommt diese Art beileibe nicht nur unter Haselsträuchern vor!




um noch einen Blick über den Tellerrand hinaus zu wagen,
sei hier erwähnt, dass es in der Gattung Asarum
ausserhalb Europas noch etwa 100 weitere Arten gibt:
hier Asarum maximum ...

 und da Asarum megacalyx,
um nur zwei von der spektakuläreren Sorte zu nennen.
Sie zeigen, dass die Haselwurzen auch ganz anderes können
als unscheinbare Blüemli zu produzieren.
(Quelle: Wikimedia commons, KENPEI, Japan)